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Gerade lichtet sich die Wolkendecke ein wenig, der Himmel malt in Orange und schickt ein paar Lichtblitze, die regelrechte Spots ins Fell der Almkühe zaubern. Den Rindern ist das egal und Manuel Philipp hat auch keine Augen für die wiederkäuenden Paarhufer. Er ist eigentlich angetreten, den Menschen die Sterne vom Himmel zu holen – sie zumindest zu erklären. Aber heute sind die Bedingungen nicht so gut. Die Natur kann man nicht zwingen, Naturerlebnisse eben nicht buchen, selbst nicht in diesem Dark Sky Park bei Reit im Winkl.
Wenn sich der Himmel noch ziert
„Es kann noch klappen“, sagt Manuel Philipp und es ist ja nicht so, als hätte er keinen Plan-B hier im bayerischen Dark Sky Park: Ein Sternevortrag erst mal indoor in der modernen Almkirche. Nach und nach trudeln Menschen ein, Kerzen tauchen den Raum in schummriges Licht, gut, dass der Herr der Sterne einen sehr gelben Pullover trägt und man ihn ausmachen kann. Die Sterngucker heute kommen bis aus Wien, ein Flitterwochenpärchen aus Regensburg ist dabei, und es ist gar nicht so selten, dass Sternenfans bis aus Frankfurt anreisen und allen Ernstes in der Nacht wieder heimfahren … Dorthin, wo es eben nie wirklich Nacht ist; und das Fehlen derselben tut Lebewesen nicht gut.

„Lichtverschmutzung ist ein ernsthaftes Umweltproblem und es wäre das einzige, das man einfach abstellen könnte“, sagt Philipp. Er ist Geschäftsführer der gemeinnützigen Organisation Paten der Nacht und gehört zu den Initiatoren der Earth night sowie der Initiativen 22 Uhr und Kein Licht im Garten. In den Städten leuchten Straßenlaternen, Leuchtreklamen und wichtige Bauwerke, die imposant angestrahlt sind, in die Nacht hinaus. Selbst draußen am Land strahlt eine Tankstelle wie ein gelandetes Ufo ins Schwarz.
Lichtverschmutzung als Problem
Schon eine kleine Stadt mit einer Einwohnerzahl von 30.000 erhellt den Himmel in einem Umkreis von etwa 25 Kilometern! „Und das beeinträchtigt markant die Gesundheit von Menschen, denn der gestörte Tag-Nacht-Rhythmus lässt den Körper nie wirklich zur Erholung kommen. Der Mensch ist ein tagaktives Säugetier, das nachts im Dunkeln und in der Stille schlafen sollte!“

Aber es gibt immer mehr Kunstlicht, das Mensch und Tier schadet, aber auch den Glühwürmchen. Es handelt sich hierbei allerdings nicht um Würmer, sondern um Käfer. Weltweit gibt es etwa 2.000 verschiedene Arten, in Mitteleuropa sind es nur drei. Viele, wenn auch nicht alle, können Lichtsignale auszusenden, fast immer ein Liebessignal, das Männchen und Weibchen zur Paarung zusammen führen soll. Tiere einer Art erkennen sich durch Länge und Rhythmus der Signale.
Glühwürmchen und ihr Nachtleben
Wissenschaftler nennen das Biolumineszenz. Bei Leuchtkäfern reagiert dabei die Chemikalie Luciferin mit ATP und Sauerstoff, sobald das Enzym Luciferase zugesetzt wird. Die dabei entstehende Energie wird fast nur in Form von Licht und nur zu einem geringen Teil als Wärme abgegeben, damit das Tier sich nicht überhitzt. Das ist ein Wirkungsgrad von bis zu 95 Prozent, der einen Physiker wie Philipp natürlich beeindruckt, da keine künstlich hergestellte Lichtquelle so einen hohen Wirkungsgrad hat. Aber die kleinen Tiere sind gefährdet. Sie haben durch die Lichtverschmutzung in besiedelten Gebieten große Schwierigkeiten bei der Partnersuche, weil die Umgebung zu hell ist.

Nächtliches Kunstlicht verändert auch die Orientierung von Zugvögeln und führt unter anderem dazu, dass Vögel in hell erleuchtete Gebäude fliegen. In Deutschland ist der Post Tower in Bonn zu trauriger Berühmtheit gelangt. Der Turm steht genau quer zur Hauptrichtung des Vogelzugs. Der Biologe Heiko Haupt untersucht seit Oktober 2006 die Auswirkungen. In den ersten Jahren fand er während der Monate des Vogelzugs über 1.000 Vögel am Fuße des Turms, die Post reduzierte ihre Beleuchtung zwar, schaltete im Herbst 2022 sogar die beiden Logos ab, aber immer noch sterben viel zu viele Vögel. Wegen der Notbeleuchtung, die unter anderem in den Treppenhäusern dauerhaft brennt.
Magische Momente unter dem Sternenzelt
Die Nacht ist also elementar für Lebewesen und Sterne zu sehen ist eine Art Urwunsch der Menschen. „Sterne erden, sie geben dir etwas Wohliges, sie sind eine visuelle Nabelschnur des Lebens“, meint Manuel Philipp. Darum veranstaltet er auf der Winklmoos-Alm, dem Dark Sky Park, eben diese beeindruckenden „Sterngucker Nächte“. Die Alm ist seit Mai 2018 ein international anerkannter, zertifizierter Sternenpark. Acht Parks oder Gemeinden gibt es inzwischen in Deutschland, zertifiziert hat die International Dark-Sky Association (IDA).

Derart zertifizierte Gebiete zelebrieren die Dunkelheit, wollen sensibilisieren, wie wichtig ein bewusster, verantwortungsvoller und bedarfsgerechter Umgang mit künstlichem Licht sein könnte. Dark Sky Parks wollen in „zertifizierter Dunkelheit“ abseits der Lichtverschmutzung Sterne beim Funkeln zusehen. Derart zertifizierte wollen sensibilisieren, wie wichtig ein bewusster, verantwortungsvoller und bedarfsgerechter Umgang mit künstlichem Licht sein könnte.
Ein besonderer Dark Sky Park in Bayern
Die Winklmoos-Alm als Dark Sky Park ist insofern ein Unikum, als sie nur ein Hektar groß ist, aber 34 Besitzer hat. Die IDA zertifiziert eigentlich nur Gegenden mit öffentlicher Beleuchtung, um Menschen darin zu bestärken, sich bewusst einzuschränken. Die Winklmoos-Alm ist sozusagen von Natur aus dunkel und selbst das Hotel Sonnenalm schaltet um 22 Uhr die gelbliche Giebel-Beleuchtung und Balkon-Lampen ab.
Und dann reißt es doch noch auf. Manuel Philipp will animieren mit bloßem Auge den Sternenhimmel zu bestaunen, nicht mit einem Teleskop. „Da ist sonst immer eine Barriere dazwischen.“ Vier der Sterngucker beim heutigen Termin kommen aus Indien. Das kleine indische Mädchen weint plötzlich. Mit bloßem Auge hat die ganze Familie noch nie die Milchstraße gesehen. Die Macht der Sterne überwältigt sie alle, diese Millionen von Sternen, hier im Dark Sky Park bestens zu sehen.
Zwischen Wissenschaft und Lebensweisheit
Da muss Manuel Philipp reingrätschen: „Man sieht höchstens 6.000, das menschliche Auge ist zu klein, die Pupille zu schwach. Babys würden noch 15.000 Sterne sehen können, aber denen ist das egal. Mit zunehmendem Alter sind es dann nur noch um die 3.000.“ Manuel Philipp ist Physiker, das sind Menschen, deren Synapsen etwas anders schalten, die gnadenlos Unwissenschaftliches entlarven: „Politiker reden immer von einem Quantensprung als etwas Bahnbrechendes. Aber der ist etwas Winziges, eine kleinstmögliche Zustandsänderung.“

Was Manuel Philipp mit Nachdruck und großen Gesten darbietet, ist schon auch ein astronomischer Vortrag, aber mehr noch eine philosophische Betrachtung des Lebens. So erklärt er im Dark Sky Park, wie klein unser Sonnensystem eigentlich ist. Würde man Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn, Neptun, Uranus und Pluto auf eine Wäscheleine aufreihen, dann würden sie zwischen Erde und Mond passen. Oder anders gesagt: Jeder einzelne ist nicht mehr als ein Fliegenschiss!. Das beruhigt oder entzaubert auch. Wenn Sterne sterben, sind es nur zwei Prozent die weithin sichtbar als Super Nova verglühen, der Rest ist einfach weg.
Kernaufgabe der Dark Sky Parks
Die Botschaft ist klar: Keiner muss sich selber so wichtig nehmen und nix ist fix. Genau das muss auch jene Besucherin auf der Dark Sky Park Winklmoos-Alm feststellen, die genau vor einem Jahr schon mal mit Manuel auf Sterngucker Tour war. Dieses Jahr wollte sie nun das faszinierende Bild vom Mars machen, der genau über der Steinplatte steht. Da ist aber kein Mars. Weil der in seiner Umlaufbahn nur alle zwei Jahre an derselben Stelle vorbeikommt. Da hätte sie bei Manuel letztes Jahr mal besser aufpassen müssen.
Das Auge gewöhnt hat sich längst an die Dunkelheit gewöhnt. Man geht bewusster und ganz still. Bei irgendwem quiekt ein Handy, es wäre eine Vision auf so einer Alm im Dark Sky Park auch eine Weile ohne Mobilnetz auszukommen. Lichtfasten, Digitalfasten, nur noch fühlen, hören und sehen. Dunkelheit hilft Mensch und Tier – und Glühwürmchen finden wieder Partner:innen. Auch das ist Manuel Philipps Mission.
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