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Sie graben noch – nämlich die Hütte aus. Auf 2.165 Metern ist tiefer Winter, Mitte Oktober 2024 schloss die Jamtalhütte in der Silvretta für eine kurze Winterpause. Am 8. Februar 2025 öffnet sie wieder. Gerhard Walter schaufelt auch und dirigiert den Versorgungshubschrauber, der das bringt, was Alpinisten so brauchen. Eine Sommersaison ist um, Gerhard Walter resümiert: „Der erste Sommer war ein bisschen ein Auf und Ab. Mit Schnee zu Beginn und viel Schnee und Wetterunbill am Ende der Saison.“
Die Welt hat sich verändert: In den 1970er und 1980er Jahren war man eisern: Da hätte sich der Wanderer seine Hüttenwoche nur nehmen lassen, wenn sie ihm ein Bein amputiert hätten. Heute sagen die Leute ab, weil die Wetterapp keine zwölf Stunden Sonne meldet. Das war neu für Walter, der auch mal etwas mit den altertümlichen Mühlen des DAV haderte. Sei es die Abrechnungsbürokratie; die Digitalisierungswüste Deutschland und die nicht mehr zeitgemäße Stornierungsregeln. Acht Tage vorher kann man ohne jede Restriktion stornieren, fünf Tage vorher drohen zehn Euro Stornogebühr. „Du hast aber schon für die zu erwartenden Gäste eingekauft, das Gulasch köchelt quasi schon, das macht das Arbeiten auf einer Hochgebirgshütte wie dieser schwieriger, im Winter noch mehr.“
Der letzte Pfiff
Gerhard Walter wurde in seinem Tun durchaus auch kritisch beäugt: Als die Kunde kam, Gerhard Walter würde nun Hüttenwirt, ging ein Raunen durch den Ort, durch Tirol und durch größere touristische Kreise. Kann der CEO (neudeutsch für Chief Executive Officer, sprich: Führungskraft) auch Hütte? Der Mann war Geschäftsführer von Lech-Zürs Tourismus, der Verbund Tourismus GmbH in Wien und 2013 bis 2016 der von Kitzbühel Tourismus. Raunen gehört zu seiner Vita: Als am 29. Dezember 2016 das Telefon nicht stillstehen wollte, und so ziemlich alle Schweizer Medien um Interviews ansuchten, war Walter auf den Skipisten von Galtür. Er musste oftmals abschwingen und reden, den Blick immer südwestwärts in die Berge gerichtet. Es sind nur ungefähr 50 Kilometer Luftlinie ins Engadin – dorthin, wo Gerhard Walter ab Mai 2017 der CEO der Engadin St. Moritz Tourismus AG werden würde.

Schon nach wenigen Stunden überschlugen sich die Schweizer Zeitungen: „Ein Ösi amtet in St. Moritz“. Ein Ösi, genau – und die Frage lautete, wie so oft: Können die Schweizer keinen Eidgenossen finden, der Tourismus kann? Walter ist einer, der immer Fragen aufwarf, der immer mit einer Konsequenz arbeitet, die manche Weggefährten eher beängstigt hat. Nach dem Ausscheiden in St. Moritz arbeitete Walter als freiberuflicher Tourismusberater, etwas, was er auch weiter hätte tun können, aber da fehlte der letzte Pfiff, das Sinnstiftende. „Was mach ich noch diese nächsten zehn Jahre, von denen ich hoffe, dass es noch gute sein werden?“, fragte sich Walter. „Wo bin ich einen großen Teil selbstbestimmt?“
Diplomatie und ihre Grenzen
CEO von den wichtigsten und elitärsten Alpendestinationen zu sein, hatte über die Jahre an Charme verloren. „Als Tourismusdirektor bist du an allem schuld, zum Beispiel auch an der schlechten Auslastung der Betten. Dazu kommt eine Abhängigkeit von gewählten Funktionären, die eben nicht durchwegs Ahnung von Destinationsmanagement haben.“ Im Alpentourismus fast schon legendär war der Schlussakkord in Kitzbühel, als Radio Tirol im Frühjahr 2016 die Obfrau fragte, ob sie ihrem Direktor möglicherweise zu wenig Handlungsspielraum gelassen hätte? Darauf gab es keine Antwort. Aber ein Direktorenwechsel sei jedenfalls „kein Beinbruch“ hieß es, und wichtig sei, dass Kitzbühel „an guaten Schnee hat, und an Haufen G‘schäft“.
Walter lernte viel über Menschen im Gebirge, auch er ein Vertreter dieses Menschenschlags, er lernte viel über Diplomatie und deren Grenzen – dort wo es für einen selber weh tut. Und dann kam die Kunde, dass Hüttenwirt Gottlieb auf der Jamtalhütte aufhören würde, nach dreißig Jahren. „Das wäre schon lässig, dachte ich damals, aber von lässig zu einer echten Bewerbung liegt ein langer und breiter Weg“, lächelt Walter. Und dann war da die Tatsche, dass seine Lebensgefährtin und derer Kinder im Tiroler Unterland leben. „Ich kam dann mit dem Satz: Wir müssen mal reden. Man weiß ja, was so eine Einleitung bedeutet.“ Die Herzensdame Christine hörte zu, sie war auch lange bei der Tirol Werbung beschäftigt und sagte: „Wenn es dich glücklich macht.“

Die Belegschaft ist family business
Aber vor dem Jam-Glück stand eine offizielle Bewerbung, es gab eine Longlist, dann eine Shortlist und am Ende waren noch vier Bewerber übrig. Man reiste nach Stuttgart, die Jamtalhütte ist das Flaggschiff der DAV, die Vorzeigehütte der Sektion Schwaben. Das Gespräch und die Präsentation liefen gut, die empathische und Menschen begeisternde Christine fragte gleich mal: „Wo können wir denn unterschreiben?“ Aber ganz so schnell ging es nicht, beim DAV stellt man sich auch Fragen: So ein CEO, kann der Hütte? Der trägt doch kein Bier raus? Da bei der Vergabe auch die Gemeinde Mitsprechrecht hat, wurde der Bürgermeister von Galtür befragt. Was ist der Walter für einer und ist der nicht zu alt? Der Bürgermeister überlegte kurz: „Der Präsident von Österreich ist über 80? Wie alt ist der Papst gleich noch? Und da ist euch ein Hüttenwirt, der Ende 50 ist, zu alt?“
Walter lächelt wieder: „Der DAV hätte gerne den 25-jährigen kernige Bergführer, der zudem Koch ist mit zehn Jahren Erfahrung, dessen Frau auch aus dem Tourismus kommt, mit erwachsenen Kindern, die mithelfen.“ Die gibt’s selten und Gerhard Walter bekam den Zuschlag, obwohl er im Dezember 60 wurde und die Hüttenwirtin eine part-time Wirtin ist, weil sie auch noch als Beraterin im Unterland arbeitet. Aber Luis, einer der Söhne, arbeitet auf der Hütte. Auch der Rest der Belegschaft ist „family business“, alles Bekannte, Freunde, viele junge Leute darunter. „Dieses junge Team hat mir so viel Spaß gemacht“, sagt Walter. In einer Branche, wo man kaum Mitarbeiter findet, hatte Walter gar keine Problem selbige zu begeistern. Die jungen Leute bringen Ideen ein, „statt der üblichen Unilever Allerweltsseife haben wir hier Enzianprodukte von zwei jungen Frauen aus Galtür, der Honig stammt von meiner Tochter“, erzählt der Wirt, der eher nicht jodelnd in der Lederhose dia Ziach spielt und auch nicht selbst sein bester Gast ist.

Verschwendung vermeiden
Ein Bier ausschenken tut er dennoch, auch mal eine Kaspressknödel-Suppe raustragen. Mitarbeiter souverän führen kann der CEO, erspüren, was Gäste wollen auch und Kommunikation ist seine Domäne. Die jungen Mitarbeiter schätzen das gute Klima, sie kreieren auch mal Getränke wie den „Roten Weizenspaß“, eine Mischung aus Johannisbeersaft und Weizenbier. Das Bier vom Großkonzern ist Tiroler Bier gewichen, die Weine sind Lieblinge des Chefs und es gibt auch die passenden Weingläser statt der bisherigen Einheitsgläser dazu. Wo die Speisen früher eher Convenience waren, wird heute frisch und regional gekocht. Der Käse stammt vom Hof des Bürgermeisters, das Fleisch von umliegenden Bauern, das Brot vom Bäcker in Galtür, der extra eine Variante eines alten Schweizer Brotrezepts macht. Es sind 1,5 Kilo Laibe, die lange frisch bleiben, ein Brot, das nach fünf Tagen immer noch saftig ist. Denn generell will Walter Verschwendung vermeiden und umweltgerechter arbeiten. Lieferanten dürfen nur noch einen Tag pro Woche zur Hütte fahren, alles Wege, um unnötige Fahrten im Hochgebirge zu vermeiden. „Deshalb hat es uns besonders gefreut, dass wir von Gault Millau eine Auszeichnung als eine der besten Hütten in Tirol bekommen haben. Und das gleich im ersten Sommer!“
Sie haben sich schnell eingegroovt auf „d‘Jam.“ Von Galtür aus ging man immer „ins Jam“, also ins Jamtal und auf „dJam“, also die Jamtalhütte. DJam, das steht nun auch auf den schlichten blauen Shirts von Walter und seinen Mitarbeitern. Schlicht, klar, eher dem Understatement verpflichtet. Kein gesticktes oder gemaltes Logo mehr „mit de Bergelen und de Manderlen“. Das sagt Gerhard Walter im Februar 2025 und im Prinzip schließt sich hier nur ein Kreis. Einst, in den 1990er Jahren, war er Tourismusdirektor in Galtür, in seiner Heimat, ein junger Wilder, der auch aneckte, dessen Galtür-Prospekt ganz anders war, als das, was damals sonst in Tirol gerade en vogue war. Die Prospekte trugen dunkle Bilder – man dachte es handle sich um Überlebende eines Murenabgangs – dazu gab es kryptische Texte. Der Berg, Und du. Am End. Die Sehnsucht. Ja ähm, das war der Trend, das war der Sprachduktus der Visionäre wie Günther Aloys im benachbarten Ischgl.
Hüttenschere aus Wunsch und Realität
Und dann kam da so ein einheimischer Bursch, kreierte ein Logo – das Galtür überdies bis heute hat – und machte einen Prospekt, der froh machte und durchaus Informationen enthalten durfte. Das war damals, ein damals, das 1999 mit der Lawinenkatstrophe seine Leichtigkeit verlor. Gerhard Walter wurde auf die mediale Weltbühne katapultiert, blieb souverän und wandelte doch so oft am Rande der Beherrschung. Und wenn die Übernachtungsgäste mehrheitlich aufgebrochen sind und die aus dem Tal noch lange nicht da sind, sitzt der Wirt ganz allein auf der Terrasse, frönt der Kaffeesucht, frönt dem, was der Italiener als „Espresso“ bezeichnet und der Österreicher als „Kleiner Brauner“. Die Sonne steigt höher. „Ich liebe es, es sind diese wunderbaren Momente.“

Zu Erinnerung: D‘Jam ist eine Hütte auf 2.165 Metern. Da kommen gerade zwei junge Frauen zum Wirt, fast heulend wegen des Frühstücksangebots, das Müslis, Haferflocken, Flakes, Jogurt, Brot offeriert. Sie wollen frische Früchte, sie essen nur frische Früchte. „Ich muss da für mich einen Weg finden“, sagt Walter nachdenklich. „Wir haben vegetarische Gerichte, auch ein Veganer findet etwas, aber nicht in städtischer Bandbreite.“ Hinzu kommt die DAV-Regel des Hüttenessens. Sie besagt, dass Alpenvereinsmitglieder für elf Euro ein einfaches Tellergericht vorfinden müssen. Wenn das nun ein Gröschtl ist oder ein Nudelgericht mit Wurst, heulen die Veganer auf, aber es ist eben nicht darstellbar für alle Gruppen ein so günstiges Essen anzubieten.
Logistik statt Zauberei
Die Hütte ist heute eher ein Berghotel, sie wurde 1882 auf 36 Quadratmetern errichtet, hatte sechs Pritschen für Herren und drei Lager für Damen, immerhin mit Heusäcken belegt. Heute hat sie 180 Betten, sie ist im besten Sinne ein Zauberberg, der weniger Zauberei als Logistik im Hintergrund erfordert. „Als Hüttenwirt bist du auch für die Wasseranlage zuständig, für die Trafostation und dafür die Kapelle auf- und zuzusperren.“ Die Kapelle hat die Bergwacht Galtür gebaut und im Herbst kam dann der Schneeregen.
Zwei Mountainbiker parkten flugs ihre Gefährte in der trockenen Kapelle – Momente, wo Walter die richtigen Worte finden muss. Ob frischer Beeren-Mangel, unachtsame Parkplätze oder feierseligen Bergwachtler, die ein paar Höhenmeter tiefer eine Ausbildungshütte haben, und auf dr´Jam im Feierabendtaumel so gar kein Ende finden wollten – an Abwechslung mangelt es nicht. Das kann der CEO. „Nur wer auf Berge steigt, kann die Höhe des Himmels ermessen“, steht in der kleinen Kapelle, die auf den schwindenden Jamtalferner blickt. Jedes einzelne kleine Menschlein gibt nur ein kurzes Gastspiel in großer Natur, das von Gerhard Walter soll nun ein paar Jahre lang „die beste Bauchentscheidung“ seines Lebens werden.
hallo, habs grad gesehen, sehr schön, bloß auf insta müssten mal ein paar mehr follower her…..😉lg!
Achtung!
Am 27.2. 2025 erscheint \“Verdammte Weiber\“ – Irmi Mangolds 16. Fall!
immer noch aktuell:: MOORLICHTER, Weinzirl is back! Der 11. Fall des Kultkommisars!
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