Neues Radlerparadies: Udine und Umland

Das Friaul entdeckt sich gerade als Rad-Destination, die grenzüberschreitend bis in die Weinhügel von Slowenien reicht. Eine Region voller Geschichte(n)!

Die schönste „roggia“ dürfte die in der Via Zanon sein, unweit der Innenstadt von Udine im italienischen Friaul. Sie bringt etwas Dörfliches in die Stadt, Wasser ist Leben, Wasser schmeichelt auch der Architektur. Sechs „rogge“, Kanäle, durchzogen im Mittelalter die Stadt, drei gibt es noch heute, Bewässerungskanäle, die vom Fluss Torre abgezweigt wurden.

Wasser war notwendig für die Gerbereien, betrieb die Mühlen von Spinnereien, Webereien und der Eisenverarbeitung. „Borc dai crotars“ nannte man ein Viertel, weil man hier ein Zubrot durch Fröschefangen im Kanal verdiente.

Radrouten durchziehen das Gebiet

Das ist Geschichte, heute folgen Radrouten den „rogge“, die teilweise überbaut sind, auch mal sichtbar, wie beim Palazzo Giacomelli, in dem das ethnografische Museum untergebracht ist. Ein Platz an der „roggia“ bringt Flair, die Plätze in der Trattoria „Ai Frati“ sind begehrt, vor allem bei den Studenten, rund 15.000 sind es. Udine ist eine junge Stadt mit großer Geschichte.

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Rogge sind Bewässerungskanäle, die Udine durchziehen ©Nicola Förg

In römischer Zeit war es das kleine Utina, dann erlebt Udine die Wirren der Völkerwanderung. 1238 verlegte der Patriarch seine Residenz hierher. Das Patriarchat von Aquileia war eine Erzdiözese, die von Aquileia aus schon im 4. Jahrhundert mit der Missionierung begann. Udine war immer auch Spielball der Mächte und so manches in der Historie geht bunt durcheinander.

Millionenfacher Vogelmord

Hinter Udines Schloss wurde ein Hügel aufgeschüttet, angeblich weil Attila von diesem Spähposten aus Aquileia brennen sehen wollte, was aber zeitlich nicht ganz passt. Egal, Hauptsache die Geschichte klingt gut … bevor man sich nordwärts bewegt.

Eine „pista ciclabile“ führt nach Reana del Roiale. Es ist topfeben, Wasserkanäle und Wasserräder regieren auch hier. Und am Wegesrand steht eine der letzten vier „roccoli“ und das wiederum ist nun keine so gute Geschichte! Diese Region war im 19. Jahrhundert die Hochburg der Vogelfänger, weil hier die Zugvogelroute verlief.

Man füllte die Singvögel mit Speck, kochte und servierte sie mit Polenta, ‚polenta e osei‘ hieß das Gericht, das millionenfachen Vogelmord bedingte! Inzwischen verboten, stehen die letzten „roccoli“ sozusagen als Ansichtsobjekte in der Region. Das sind große, ringförmige Gebilde, meist aus Hainbuchen, und im Inneren wurden Käfige mit den sogenannten „richiamini“ aufgehängt, die Lockvögel, die mit ihrem Gesang die Artgenossen anlockten, die sich dann im Netz verfingen.

Fußballmanics gibt in Udine genug

Gottlob tempi passati, auch sonst hat sich viel verändert: Vor dem Erdbeben 1976 gab es im Friaul rund 650 Gemeinschaftsmolkereien, heute gibt es in der Provinz Udine noch fünf, wo Klein- und Nebenerwerbsbauern Heumilch für den typischen Käse anliefern können. Am Rückweg streift die Radroute Tavagnacco, ein hübsches Dorf, das mit der Trattoria Al Grop ein Spitzenlokal besitzt, das eben solche lokalen Produkte mit Finesse verarbeitet – und das auch mal die gefeierten Fußballer von Udinese Calcio aufsuchen.

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Friaul entdeckt sein Potential als Rad-Destination ©Nicola Förg

Fußballmanics gibt in Udine genug, das 1920 erbaute Stadio Moretti wurde 1976 abgerissen, heute ist der Platz Stadtpark, wo sich Jogger tummeln, Mamas ihre Kinderwägen schieben, Kids ihr Skateboard quälen und Studenten für die Prüfungen lernen. Die Beschilderung des Radwegs ist – ehrlich gesagt – immer mal wieder verwirrend, ab und zu bricht der Radweg einfach ab, da ist noch deutlich Luft nach oben, aber das Friaul entdeckt gerade erst sein Potential als Rad-Destination.

Ein Potential, das gewaltig ist und vor allem im Osten von Udine liegt. Es geht entlang großer Felder, durch stille Dörfer, bis mit Cividale die Friuli ein Höhepunkt erreicht ist. Man muss diese schmucke Stadt natürlich über die Teufelsbrücke betreten!

Die Bronx von Udine

Der Legende nach war der Teufel bereit, die Brücke über den reißenden Fluss zu bauen, aber nur wenn er als Lohn die Seele des Ersten bekäme, der über die Brücke geht. Die findigen Bürger scheuchten einen Hund über die Brücke. Was mit dessen Seele geschah, ist nicht überliefert. Es war jedenfalls ein „cjan“, furlanisch oder friulanisch für Hund.

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Die Teufelsbrücke von Cividale ©Nicola Förg

Noch etwa 600.000 Menschen können die Sprache, die dem Ladinischen und dem Rätoromanischen ähnlich ist, Sprachen, die alle ursprünglich zur selben Familie gehört zu haben scheinen und sich in Varietäten auseinanderentwickelt haben. Im Udineser Viertel Riccardo Di Giusto gab es noch eine Sprache derer, die in der Bronx von Udine gelebt haben.

Wie überall in Europa war der soziale Wohnungsbau ein Modell, die einkommensschwache Bevölkerung in die Vororte abzudrängen, sicher auch mal in der positiveren Absicht, der Arbeiterklasse Wohnungen zu bieten, die über moderneren Komfort verfügen als die alten Häuser der Stadt. Nur wurden das dann eben Monoblocks, dezentral vom Stadtrand entfernt, eine Nachbarschaft, die in den 1970er und 1980er Jahren eine Subkultur entwickelte – samt Sprache. Man wollte draußen nicht verstanden werden, mixte Wörtern aus dem Friaulischen, dem Venetischen und der Sprache der Roma und Sinti, ein Slang der Vorstadt eben. Auch das ist heute Geschichte.

Auf ins Nachbarland Slowenien

Und sollte man, wenn man nun weiter Richtung Osten, hinein in eine zunehmend hüglige Region strampelt, noch eine ganz andere Sprache hören, ist das schlicht Slowenisch. Ganz unbemerkt ist man von den italienischen „Colli Orientali“ in die „Brda“ gelangt – hüben und drüben eine Landschaft, an der sich das Auge kaum sattsehen kann. Unendlich viele Weinberge, beinahe genauso viele Weingüter obenauf und eine Gastronomie zum Niederknien gut.

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Übergang von den italienischen „Colli Orientali“ in die slowenischen „Brda“ ©Nicola Förg

Die Osteria Solder ist so ein Beispiel, irgendwo im Nirgendwo der wogenden Hügel – wenn man sie denn gefunden hat, denn die Radbeschilderung ist in der Tat auch ausbaufähig. Auch wenn eine Schiebepassage durch einen steilen Weinberg nicht so angedacht war, ergibt diese Detour wunderbare Ausblicke und am Ende auch den richtigen Weg mit einer zackigen Abfahrt nach Solder.

Behäbig ruht das Steingebäude in den Weinbergen, gar nicht behäbig sausen gut gelaunte Bedienungen von Tisch zu Tisch. Draußen sind lange Tafeln unter Schirmen aufgebaut, eine italienische Großfamilie feiert Geburtstag der Nonna. Die kleinen Mädchen tragen schicke Kleidchen, die Mamas ebenso schicke Sonnenbrillen. Ein Gang folgt auf den nächsten, alles wertige regionale Produkte und immer mit Weinbegleitung. Certo!

Zwei Städte, aber eine Kulturhauptstadt

Von hier ist es nicht weit bis Goriza (Görz) und Nova Gorica. Beide sind 2025 ein italienisch-slowenisches Freundschaftsunternehmen, sie werden gemeinsam europäische Kulturhauptstadt und werben damit auch für Europa. Und weil das Hügelauf-Hügelab irgendwann im Sonnenuntergang enden muss, kann es nur einen geben: Borgo Gradis`ciutta.

Im Ursprung stammen die Gebäude etwa aus dem Jahr 1500, heute ist das ein Weingut mit Hotel, wo Besitzer Robert Princic mit leichter Hand die Zimmer so gestaltet hat, dass sie mit Vintage-Elementen und heimischen Materialien spielen. Der beste Wein bei Robert? Das ist Geschmackssache, womöglich der Collio Ribolla Gialla, der das Terroir erschmecken lässt. Allemal ein Ort um durchzuatmen und zu bleiben.

Informationen

Auf der Website von Friaul-Julisch Venetien gibt es neben zahlreichen Urlaubsinformationen auch Radkarten und Tourenvorschläge für die individuelle Reiseplanung.

Anreise

Ausgehend von München geht es mit dem Auto über die A8 in Richtung Salzburg. Nach dem Grenzübertritt nach Österreich auf der A10 weiter in Richtung Villach. Dann folgen Reisende der A2/E55 und anschließend der A23, die direkt nach Udine führt. Wer statt Autobahn über die österreichischen Alpenpässe anreisen möchte, findet täglich aktualisierte Informationen über die Befahrbarkeit dauf unserem Partnerportal, dem Pässeportal.

Von München aus gibt es zudem direkte Zugverbindungen mit der Deutschen Bahn und den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Der Hauptbahnhof von Udine liegt zentral und bietet eine gute Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz der Stadt.

Unterkunft

Das Hotel Suite Inn in Udine bietet nicht nur schöne Zimmer und eine einladende Atmosphäre, sondern auch besonders herzliche Inhaber, die sich um das Wohl ihrer Gäste kümmern. Das Haus ist fahrradfreundlich gestaltet und verfügt über eine sichere Radgarage im versperrten Hinterhof.

Das Weingut Gradis’ciutta verbindet Ruhe und Wein und bietet neun stilvoll eingerichtete Zimmer und drei charmante Ferienwohnungen.

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